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Natur & Umwelt Risse auf der Insel

Hiddensee wartet auf den großen Abbruch

Auf Hiddensee walten Kräfte, die sogar Bäume bersten lassen. An der Steilküste werden die Risse immer tiefer. Neu ist das Phänomen nicht.

Der kilometerlange Riss auf Hiddensee beunruhigt Touristen und Behörden. Die geologischen Kräfte in den Gesteinsschichten sind stark, sie bringen sogar Baumstämme zum Bersten. Doch neu ist das Phänomen nicht. Nur wenige Jahre nach der Eröffnung des Leuchtturms im Jahr 1888 klagen Wärter urplötzlich über Zugluft durch Risse im Mauerwerk. Und vor dem Kliff beobachten die Insulaner, wie sich wie von Geisterhand offenbar eine Insel aus dem Meer erhebt.

"Was wir jetzt erleben, ist die Fortsetzung der Leuchtturm-Verwerfung zu Beginn des 20. Jahrhunderts", sagt der Leiter des Geologischen Dienstes im zuständigen Landesamt, Ralf-Otto Niedermeyer. Das, was die Insulaner im ausgehenden 19. Jahrhundert als kleine Insel vor Hiddensee beschrieben, war offenbar eine Ausquetschung von Tonschichten aus dem Kliff.

Im Auftrag der Landesregierung verfasst der Geologe Johannes Elbert im Jahr 1906 ein Gutachten "Über die Standfestigkeit des Leuchtturms auf Hiddensee". Er lässt zunächst fünf Bohrungen in den Untergrund bringen, und dort, wo er die geologische Störung vermutet, rammt er Messpfähle aus Eichenholz in den Boden.

Bereits sechs Jahre später zeigen die Messungen einen Unterschied von einem Meter. Bis zum Jahr 2004 soll die Sprunghöhe zwischen den Schollen auf 1,8 Meter anwachsen, wie Elberts Kollege Günter Möbus drei Geologen-Generationen später schreibt.

Seit drei Wochen beunruhigen nun an gleicher Stelle neue Risse und Spalten die Hiddenseer. Spalten bis zu einem Meter tief ziehen sich durch den Erdboden des Küstenwaldes, über den Hochuferweg und lassen Grasnarben aufplatzen. Der Riss an der Steilküste im Norden Hiddensees öffne sich jeden Tag ein paar Millimeter mehr, sagte Frank Martitz vom Nationalparkamt Vorpommersche Boddenlandschaft.

Neu ist das alles nur für die Zugereisten und Urlauber auf Hiddensee. Der Bereich um die Steilküste samt Wanderwegen ist seit einer Woche gesperrt. Nach dem Tod der kleinen Katharina vor einem Monat am Kap Arkona, der Nordspitze der Nachbarinsel Rügen, will die Gemeinde Hiddensee auf Nummer Sicher gehen. "Wir wollen kein Risiko eingehen", sagt Kurdirektor Alfred Langemeyer.

Ob und wann sich die Hiddenseer Steilküste in Bewegung setzt, können selbst die Geologen nicht sagen. "Das sind Summationseffekte, die sich an geologischen Schwächezonen über längere Zeiträume – über Jahre und Jahrzehnte – aufbauen", sagt der Geologieprofessor Niedermeyer.

Er erinnert an das verheerende Erdbeben vom 18. April 1906 in San Francisco , das die Stadt in Schutt und Asche legte. Seitdem wartet man dort auf den nächsten Big Bang. Ähnlich ist die Ungewissheit auf Hiddensee: "Es kann sein, dass die Risse einen gigantischen Abbruch ankündigen, es kann aber auch sein, dass in den nächsten Jahren gar nichts passiert."

Der Mensch ist in diesem Falle machtlos. Wenn es einen Schuldigen gibt, dann ist das die Natur.

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Die Ostseeküste, so wie sich heute mit ihren flachen weißen Stränden und den spektakulären, steilaufragenden Kliffs zeigt, formte sich vor rund 20.000 Jahren im Zuge der Eiszeit, wie Niedermeyer erklärt. Die bis zu drei Kilometer hohen Gletscher schoben Gesteine aus Nordeuropa gen Süden. Als die Gletscher schmolzen, hinterließen sie die von Moränen und pleistozänen Gesteinen geprägte Landschaft.

In dem nun für Aufsehen sorgenden Kliff ziehen sich auf einer Länge von 1200 Meter Brüche, wie die Geologen wissen. Der Ton, der die verschiedenen pleistozänen Schollen verbindet, wird schmierig, wenn es nass wird. "In den vergangenen Monaten hat es extrem viel geregnet", sagte Niedermeyer.

Möglich, dass deshalb die Massen in Bewegung geraten. Der Geologe Niedermeyer mahnt zu Gelassenheit, vor allem, weil Menschen nicht in Gefahr seien. Man müsse jetzt abwarten. "Der Rest ist Natur." Der Hiddenseer Leuchtturm erhielt im Fundamentbereich einen Betonring. Im Jahr 1926 wurde der Turm mit einem Erzbetonmantel standsicher gemacht. Er leuchtet noch immer.

dpa

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